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Novelle Wassergesetz NRW: Wasserschutzgebiete als „Tabugebiete“ durch die Hintertür?

02.07.2015*
Vor wenigen Wochen schien die Landesregierung Nordrhein-Westfalens ihre Absicht aufgegeben zu haben, im Entwurf des Landesentwicklungsplans (LEP NRW-E) Wasserschutzgebiete grundsätzlich als so genannte „Tabugebiete“ für Vorhaben der Rohstoffgewinnung festzulegen [1]. Nun erlebt die teilweise schon als überwunden geglaubte Kontroverse eine Renaissance im Wasserrecht und möglicherweise in weiteren Sachmaterien.

Mit der Novelle des Landeswassergesetzes Nordrhein-Westfalen (LWG NRW) will die Landesregierung „die Qualität der Gewässer und des Grundwassers“ verbessern und „den ökologischen Wert der Gewässer stärken“ [2]. Der Entwurf enthält ein Rohstoffgewinnungsverbot für Wasserschutzgebiete [3]. Verbotsregelungen für bestehende Wasserschutzgebiete bleiben (zunächst) unberührt. Nach dem Wortlaut des Rohstoffgewinnungsverbots könnten Abweichungen zwar sowohl in den Wasserschutzgebieten selbst festgelegt als auch die Zulassung eines Rohstoffgewinnungsvorhabens einzelfallbezogen trotz Verbots erlaubt werden. Für die Landesregierung ist eine Überwindung des Verbots jedoch allein in der (seltenen) Zone III C vorstellbar:

Eine Abweichung ist also nur dann möglich, wenn die Besorgnis einer nachteiligen Veränderung des Wasserhaushalts und der Wasserbeschaffenheit weiterhin ausgeschlossen werden kann. Nach vorliegenden Erkenntnissen wird diese Regelung lediglich für die seltene Festsetzung einer Wasserschutzzone III c in Anspruch genommen werden können.

Auf die Träger von Vorhaben der Rohstoffgewinnung, insbesondere zum Abbau von Kalk, könnten erhebliche – wenn nicht gar existentielle – Konsequenzen zukommen, wenn der Entwurf unverändert Gesetz würde. Dabei gibt es bis heute keine belastbaren Erkenntnisse darüber, dass Vorhaben der Rohstoffgewinnung per se nachteilige Auswirkungen auf die Grundwasserbeschaffenheit haben.

Die Tragweite ist auch der Landesregierung bewusst. Der Sache nach gibt sie das Rohstoffgewinnungsverbot jedoch als Wiederholung allfälliger Selbstverständlichkeiten aus [4]. Für die gegen Vorhaben der Rohstoffgewinnung angeführten abstrakten Erkenntnisse beruft sie sich u. a. auf den Deutschen Verein des Gas- und Wasserfachs (DVGW). Gerade der DVGW hatte jedoch 2007 in einem Standpunktepapier, das nach langen Auseinandersetzungen unter Beteiligung weiterer Fachverbände erarbeitet wurde, die Auffassung mitgetragen, dass Vorhaben der Rohstoffgewinnung auch in der Wasserschutzzone III B nach eingehender Prüfung zulassungsfähig sein können [5]. Die in dem Papier aufgeführten Kriterien sollten helfen, eine fachlich begründete Entscheidung zu einem Abbau in der Wasserschutzzone III B zu treffen.

Mit dieser Position stünde die Novelle des LWG NRW nur dann in Einklang, wenn sie nicht den Eindruck erwecken würde, die Möglichkeit zur Abweichung bestehe allein innerhalb der Wasserschutzzone III C.

Die Vorlage wirft ungeachtet dessen ein Schlaglicht auf die Willensbildungsprozesse. Nachdem die Landesregierung von einem grundsätzlichen Rohstoffgewinnungsverbot für Wasserschutzgebiete im Landesentwicklungsplan Abstand nahm, verfolgt sie die Tabuisierung von Vorhaben der Rohstoffgewinnung an anderer Stelle ungebrochen weiter. Die Verzichtbarkeit von „Tabugebieten“ im LEP NRW-E begründete die Landesregierung wie folgt [6]:

Auf die Festlegungen entsprechender Tabugebiete kann im LEP verzichtet werden, da über fachrechtliche Regelungen der Arten-, Natur-, Wasser-und Bodenschutz im Zusammenhang mit der Rohstoffgewinnung sichergestellt wird.

Die Novelle des LWG zeigt, dass diese Formulierung nicht als Beschreibung der Rechtslage, sondern als Ankündigung künftiger Verschärfungen in den genannten Sachgesetzen zu verstehen sein dürfte. In der Novelle des LWG NRW finden sich hierfür weitere Anhaltspunkte. Denn im Bodenschutzrecht sollte bei Gelegenheit ein weiteres Rohstoffgewinnungsverbot verankert werden. Offenbar nahm man hiervon jedoch zunächst Abstand – zunächst [7].

 

*Edit 06.08.2015:
Siehe auch den Beitrag „Hütchenspiele mit ‚Tabugebieten‘?„, abrufbar unter: baunetzwerk.biz.

[1] Siehe den Beitrag vom29.04.2015.
[2] Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/3050 vom 28.06.2015 nebst Entwurf der Landesregierung für ein „Gesetz zur Änderung wasser- und wasserverbandsrechtlicher Vorschriften“ (Stand: 23.06.20159), PDF-Datei (ca. 21 MB) unter land.nrw.de (Kurzlink ) oder PDF-Datei (ca. 2 MB) unter jk-anwaelte.com.
[3] § 32 Abs. 2 LWG NRW-E:
„Im Wasserschutzgebiet nach § 51 Absatz 1 Nummer 1 des Wasserhaushaltsgesetzes sind Abgrabungen zur Gewinnung von Bodenschätzen im Sinne von § 1 Absatz 1 Nummer 1 des Abgrabungsgesetzes vom 23. November 1979 (GV. NRW. S. 922), in der jeweils geltenden Fassung verboten. Eine von Satz 1 abweichende Regelung kann in einer Wasserschutzgebietsverordnung nach Absatz 1 Satz 1 getroffen werden, wenn und soweit der Schutzzweck das Verbot für einen Teil des Wasserschutzgebiets nicht erfordert. § 52 Absatz 1 Satz 2 und 3 des Wasserhaushaltsgesetzes findet Anwendung.“
[4] Vgl. PDF-Datei zum LWG NRW-E [2], Seite 21:
„Das Abgrabungsverbot in Wasserschutzgebieten könnte sich gewinnmindernd bei der Kies- und Sandindustrie sowie der Festgesteinsindustrie auswirken. Dagegen spricht, dass bereits jetzt, wie sich aus der Begründung der Regelung ergibt, der Schutz der Wasserversorgung im Wasserschutzgebiet erfordert, Abgrabungen zu verbieten. Auch jetzt schon kann die zuständige Behörde bei der Festsetzung in begründeten Fällen von diesem Grundsatz abweichen und auch jetzt finden in Einzelfällen die bundesrechtlichen Befreiungsregelungen Anwendung. Der Regelung des Artikel 1, § 35 Absatz 1 Satz 3 verdeutlicht diese wasserwirtschaftliche Bewertung lediglich. Betroffen sind die Gebiete am linken Niederrhein und die Gebiete, in denen Festgestein, wie z. B. Kalk gewonnen wird. Diese konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Gebiete um Wülfrath sowie auf den Briloner Massenkalk.“
[5] DVGW, BKS, MIRO und LAWA: Gemeinsames Standpunktepapier „Sand- und Kiesgewinnung in Trinkwassergewinnungsgebieten durch Nassabbau“, 2007, PDF-Datei (ca. 220 KB) unter www.dvgw.de
[6] Siehe die Angaben im Beitrag vom 29.04.2015  unter [1].
[7] So sollte in Rohstoffgewinnungsverbot offenbar auch in § 12 Absatz 1 lit. c LBodSchG für Gebiete zum vorsorgenden Bodenschutz verankert werden. Die hierfür vorgesehene Bestimmung (Art. 26 LWG NRW-E) regelt im Entwurf der Novelle des LWG NRW nunmehr aber nur dessen Inkrafttreten. Vgl. PDF-Datei zum LWG NRW-E [2], Seite 8, 22 f., 25 und 165.

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